Kennen Sie die Situation, dass Sie eine Handlung aufschieben und dann nicht wieder in Betracht ziehen? Aufgeschoben ist meist aufhoben. Können Sie sich noch daran erinnern, wie es war, früher als Kind, wenn es zum Geburtstag oder zu Weihnachten ein meist besonders schönes Kleidungsstück gab? Ich kann mich noch sehr gut an das ein oder andere Kleid erinnern. Das ich nicht sofort, sondern oft des Preises wegen tatsächlich erst zum Geburtstag oder zu Weihnachten bekam. Ja, vielleicht auch, weil es ansonsten aufgrund der Witterung erst einmal lange im Schrank gehangen hätte. Manchmal auch, weil meine Omas Schneiderinnen waren und begnadet für mich schneiderten. Das dauerte eben länger, als ins Geschäft zu gehen und zu kaufen. Ja, und es war besonders. Keine Frage. Für mich zumindest. Es war für mich die Wertschätzung, da hatte jemand etwas nur für mich geschneidert!

Meine Oma hat mir sogar für meine Puppen die gleichen Kleider in klein geschneidert – auch für sonntags. Dies hatte ich in einem Kinderbuch von Else Ury „Das Nesthäkchen“ gelesen und es hatte mich total begeistert, damals mit 7 oder 8 Jahren. Doch auch zu diesen Kleidern hörte ich die Aussage: „Dann kannst du deine Puppe am Sonntag genauso schön einkleiden wie dich.“ Aufgeschoben ist aufgehoben?

Strahlende Augen

Und dann, wenn ich das Paket mit strahlenden Augen geöffnet hatte, meine Eltern oder auch die Großeltern sagten: Das ist aber für sonntags. Das ist für „gut“ erinnere ich mich noch. Das ist für „gut“, ein Lieblingsspruch meiner Oma. Und sie erzählte von ihrer Jugend und wie sehr sie alles geschont hatten, was sie hatten.

Für gut? Wann ist das genau? Wenn ich diesen Satz hörte, bekam ich – sogar heute noch – gefühlt einen Schlag in die Magengrube. Warum für „gut“ – für sonntags? Ich habe es als Kind nie verstanden. Was war an Sonntagen so besonders? Gut, bei uns ging man sonntags in die Kirche, meist trafen wir uns danach mit den Großeltern und die Berufstätigen hatten frei. Nicht zu vergessen, dass ich Opa nach der Kirche vom Frühschoppen abholen durfte. Alles in allem also doch schon ein besonderer Tag. Für den ein besonderes Kleidungsstück angebracht war. Aber … ich hätte es doch so sehr gerne sofort angezogen. Aufgeschoben ist aufgehoben.

Doch…

Schon damals fand ich – wenn auch unbewusst – es viel wertschätzender, wenn ich diese Kleider öfter, auch in der Woche, in der Schule oder zu welch´ gewöhnlichen Anlässen auch immer, hätte tragen können. Wenn ich voller Stolz auch in der Schule dieses Kleid hätte tragen dürfen. Ich habe diese Kleider tatsächlich mehr geliebt als alles andere. Warum also durfte ich meiner Oma nicht zeigen, wie gerne ich es trug, indem ich es oft trug?

Auf der anderen Seite wuchs ich als Kind – wie alle anderen auch – rasant. Und dadurch konnte ich das, was mir so am Herzen lag, nicht lange tragen. Ich schoss zwar lange Jahre gefühlt nur in die Höhe und wenig in die Breite, doch irgendwann war auch der letzte Saum rausgelassen und das Kleid war definitiv zu kurz. Und da hing es dann, fast ungetragen im Schrank. Im besten Fall konnte sich meine jüngere Cousine noch an diesem Kleidungsstück erfreuen. Und nach ihr oft noch ihre Cousinen.

Und wie ist es heute?

Das alles war damals. Kennen Sie diese Denkweise ja auch noch? Vielleicht haben Sie sie von ihren Vorfahren ja auch übernommen. Eventuell nicht so krass. Aber so, dass Sie sie unter Umständen immer noch im Kopf haben, wenn Sie sich etwas Schönes gekauft haben. Es muss ja nicht immer Kleidung sein. So viele Dinge gibt es, die wir kaufen und für „später oder gut“ aufbewahren.  Kennen Sie das Gefühl auch, dass Sie das Gekaufte sofort in Betrieb nehmen wollen? Und sich dann im tiefsten ihres Innern an den Satz Ihrer Eltern und Großeltern erinnern und sich denken, das verwahre ich mir für später? Für gut? Aufgeschoben ist aufgehoben?

Ok, mit einem Cocktail-Kleid oder einem Smoking geht niemand von uns zur Arbeit, solche Kleidungsstücke bleiben für besondere Anlässe. Aber es geht doch um alltagstaugliche Dinge, die durchaus ihren Platz eben im Alltäglichen finden. Kennen Sie die Aussage: Das ist das „gute Geschirr“ oder die Tischdecke „für Weihnachten“?

Es geht nicht nur um Kleidung

Ganz häufig erlebe ich, dass Menschen sich nicht nur Dinge/Waren für später aufheben. Sondern auch Erlebnisse. Das mache ich, wenn ich in Rente bin. Wie oft höre ich das. „Aaach, das machen wir, wenn wir Zeit haben, im Ruhestand sind.“

Und dann kommt das Leben. Mit all seinen Facetten. Haben Sie sich auch schon mal etwas für später vorgenommen und dann … wurde nichts mehr daraus?

Wie oft habe ich schon Menschen im Ruhestand erlebt, die von der Idee des „später Machens“ getragen waren und dann tief enttäuscht sind, dass es nicht so funktioniert hat, wie sie es sich vorgestellt hatten.  Vielleicht weil die äußeren Umstände nicht mehr so passen. Weil Krankheit oder gar der Tod des Partners / der Partnerin den Plan durchkreuzt haben.

Ein Beispiel

Eine Großtante von mir erkrankte zu Beginn ihrer 80ziger an Niederinsuffizienz. Nur eine von vielen Diagnosen, aber die, die sie am meisten beeinträchtigte. Sie war sehr auf ihr Äußeres bedacht, war eine jener alten Damen die fast immer mit Handschuhen aus dem Haus gingen. Sie war auch sehr reiselustig. Doch nun stand eben dreimal wöchentlich fünf Stunden Dialyse auf dem Terminplan. Nicht mehr essen, worauf sie Lust hatte, das Reisen war sehr eingeschränkt und fiel genauer gesagt ganz aus. So viele Dinge, die Sie vor sich hergeschoben hat, auch unter dem Aspekt „Ich habe ja noch lange Zeit“, das kann ich später noch machen. Aus später wurde leider nie.

Warum also aufschieben? Für gut oder für sonntags, den Ruhestand oder wann auch immer aufheben? Erfreuen Sie sich an schönen Dingen!

Schon Horaz hat um 23 v. Christus in seiner Ode „An Leukonoë“ geschrieben: Carpe Diem! Nutze den Tag! Genieße den Tag!

Leben Sie Ihr Leben heute! Und warten Sie nicht auf den nächsten Sonntag!

Ihre

Britta von der Linden