Und wieder habe ich diesen Satz heute gehört: „Ich will dir nicht zur Last fallen!“ Wie oft schon.

So viele ältere Familienangehörige habe ich jetzt im Alter begleitet, in schwierigen Situationen unterstützt. Wenn ich es nicht gewollt hätte, hätte ich es doch nicht getan! Ja, manchmal ist es schwer, alles unter einen Hut zu bekommen, keine Frage. Und trotzdem. Was genau wird mit dieser Aussage eigentlich bezweckt? Habe ich es für mich nicht sogar unterschwellig genauso gedacht, als es mir nicht gut ging? Auch ich habe in schwierigen Situationen versucht immer alles alleine zu erledigen.

Ist es ein Selbstbild-Thema?

„Ich will dir nicht zur Last fallen“. Woher kommt dieses Denken eigentlich? Welches Selbstbild haben wir von uns selbst, wenn wir diesen Satz denken oder sagen? Ist es die Angst vor dem Verlust der Selbstständigkeit? Der eigene Perfektionismus, der befürchtet, dass ein anderer es uns sowieso nicht recht machen kann? Das eigene Erleben, dass wir anderen helfen mussten, und dieses Helfen als Last empfunden haben?

Eher eine Aussage von Älteren?

Wenn ich so recht überlege, habe diesen Satz noch nie von jungen oder jüngeren Menschen gehört. Höchstens „Danke, ich schaffe das schon“. Diese Formulierung: „Ich will dir nicht zur Last fallen“, scheint erst im Sprachgebrauch der Älteren und Alten aufzutauchen. Auch wenn ich überzeugt davon bin, dass hinter dem „Ich schaffe das schon“ auch ein „nicht zur Last fallen wollen“ steckt.

Eigene Erfahrung

Als ich als junge Frau von 23 mit meinem späteren Mann zusammenzog, hörte ich viele ältere Verwandte: „Du bist jung, du schaffst das schon.“ Zur Situation: ich war 23, hatte mich in einen 20 Jahre älteren Witwer mit 2 halbwüchsigen Kindern verliebt und mich für ein gemeinsames Leben entschieden. Ich pendelte täglich in eine andere Stadt, wo ich Vollzeit berufstätig war. Zuhause wartete dann ein vier-Personen-Haushalt in einer großen Wohnung. Haushaltshilfe? Wollte ich nicht. Es war mir damals unangenehm, dass eine fremde Person meinen Dreck weg machen sollte. Wir waren ein offenes Haus, zum Essen waren wir selten nur zu viert. Mein Mann war beruflich sehr viel unterwegs, sodass ich neben Beruf und Haushalt eben auch sehr gerne Ansprechpartnerin für die beiden Söhne war. Nicht als Mutter logischer Weise, aber als Freundin.

Du schaffst das schon? Mich peitschte dieser Satz zugegebenermaßen zur Höchstleistung, brachte mich aber durchaus auch an physische wie psychische Grenzen. Schaffte ich es wirklich? Habe ich um Hilfe gebeten: nein. Eher im Gegenteil. Ich unterstützte andere. Denn ich glaube unterschwellig: Auch ich wollte nicht zur Last fallen. Stark sein, mir selbst und anderen etwas beweisen.

Was genau heißt es?

Doch was genau wollen wir damit eigentlich ausdrücken? „Ich will keinem zur Last fallen“. Verständlicher Weise wollen wir alle unsere Selbstständigkeit bis ins hohe Alter behalten. Wir möchten so lange wie möglich über uns selbst bestimmen. Unseren Wohnort bestimmen, was wir essen möchten, wie wir uns kleiden. Was ist eigentlich aus der Großfamilie von früher geworden, als 3 und mehr Generationen unter einem Dach gelebt haben? Wo es oft ganz selbstverständlich war, dass die Jungen den Alten zur Hand gingen. Umgekehrt aber auch die Alten den Jungen manches abnehmen konnten und können.

Nein, sicherlich ist diese Lebensform nicht immer konfliktfrei. Welches Zusammenleben ist schon konfliktfrei, ohne jegliche Meinungsverschiedenheit. Übrigens selbst im Tierreich nicht.

Die Veränderung der Gesellschaft

Die heutige Lebens- und Berufswelt trägt sicherlich dazu bei, dass wir solche Familienverbünde immer seltener antreffen. Die Jungen zieht es raus in die Welt, der Beruf macht es notwendig, den Heimatort zu verlassen. Oder einfach der Wunsch, in eine Herzensumgebung zu ziehen, um dort zu leben. Bedeutet das, das wir mit denen, die nun weit von uns entfernt leben, keinen Kontakt mehr haben möchten? Auf diese Art und Weise können die Alten den Jungen nicht zur Last fallen. Doch ist das der Grund? Ich glaube nicht. Eher der Wunsch und die Möglichkeit, dass wir uns unser Leben gestalten können, wie es für uns gut ist.

Worin liegt die Last?

Ab wann fallen wir anderen zur Last? In der Diskussion mit anderen beschlich mich das Gefühl, dass wir Last empfinden, wenn wir Dinge nicht freiwillig machen. Wenn der Andere z. B. Betreuung von uns fordert, die uns vielleicht sogar überfordert. Aus verschiedenen Gründen. Weil wir zu viel um die Ohren haben, unser Alltag dicht gedrängt ist. Oder, die Hilfe überfordert uns emotional. Es zerreißt uns, einen geliebten Menschen langsam aber sicher immer fragiler werden zu sehen. Und somit die Endlichkeit vor Augen zu haben. Eine etwas andere Art der Überforderung entsteht, wenn die beiden Betroffenen in keiner guten Beziehung zueinanderstehen oder früher standen und nun einer vom anderen die Unterstützung als Selbstverständlichkeit einfordert.

Doch all diese Gedanken erklären mir den Ursprung dieses Satzes noch nicht. Unser Leben, unser Alltag ist bei den meisten so vollgestopft mit Aktivitäten welcher Art auch immer, dass andere, die dies sehen, uns gar nicht erst um Hilfe bitten möchten. Oder aber wir projizieren diese Gedanken auf die Anderen.

Doch, vielleicht kann diese Aussage ja auch eine ganz andere Bedeutung haben. Während ich meine Gedanken hier zu Papier bringe, fällt mir auf, dass dieser Satz: „Ich will dir nicht zur Last fallen“ durchaus auch etwas Manipulatives hat. In den meisten Fällen entgegnen wir, mehr oder minder wohlwollend und freundlich, „Du fällst mir nicht zu Last“. Ich wage die These aufzustellen, dass dieser Satz nicht immer ehrlich gemeint ist.

Was wir machen können

Was also können wir unternehmen, damit wir unser Denken im Umgang mit anderen einmal überdenken? Im Zweifelsfall: darüber reden. Wir können unsere Bedenken, die wir haben äußern. Wir können aber auch klar sagen, was wir uns wünschen und vorstellen. Wenn es darum geht, wie wir uns unser Leben im Alter vorstellen. Ja, und das geht auch mit den Kindern. Und wenn wir nicht möchten, dass uns jemand unterstützt, den wir nicht mögen, dann können wir das auch sagen.

Sich auf Dauer auf die Lippen beißen und nichts sagen, ist auch keine Option. Es ist unser Leben. Wir haben fast immer eine Wahlmöglichkeit, häufig sogar mehr als zwei. Beleuchten wir sie. Akzeptieren wir, dass wir im Alter nicht mehr immer so können wie wir wollen. Und egal von wem, Hilfe annehmen sollten und dies auch können. Wir sollten uns einfach auch die Erlaubnis dazu geben. Ja, oft fällt es uns einfacher, Hilfe von Fremden anzunehmen, von denen, denen wir uns emotional nicht abhängig oder zugehörig fühlen. Und wenn es dann doch die Familie ist, die uns Unterstützung anbietet, bin ich mir sicher, es gibt etwas, dass wir zurückgeben können. Unser Selbstwert wird somit auch wieder gestärkt, das Gefühl gebraucht zu werden befriedigt. Reden Sie darüber, wie diese Hilfe aussehen kann und sollte. Sprechen sie darüber!

Leben Sie ihr Leben – jetzt und warum nicht mit Unterstützung!

Ihre

Britta von der Linden