Auf einmal nicht mehr so leistungsfähig?

Eigentlich ist heute so ein ganz normaler Tag, der mir zeigen will, wie leistungsfähig ich bin. Es ist ein Tag, der mich meiner Leistungsfähigkeit bewusst werden lässt. Einer, der mir zeigen wird, dass sich meine Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter verändert. Mein Online-Seminar beginnt um 8.30 Uhr. Da kommen schon die ersten Teilnehmenden in den Call, direkt als ich das Meeting für mich gestartet hatte. Dummerweise hatte ich nicht daran gedacht, einen Warteraum einzurichten, indem ich die Teilnehmer erst einmal „zwischenparken“ kann, bevor ich sie in den eigentlichen Webinar-Raum einlasse. Denn ein wenig Vorbereitungszeit benötige ich schon, am liebsten allerdings für mich allein.

Also gut, das ist dann die erste Planänderung am Tag. Dann beginnt das Seminar und es läuft alles nach Plan, wir haben Spaß, trotz vieler ernster Unterthemen, lachen wir. Schon in der Mittagspause bemerke ich, dass mir eine Stunde Zeit gutgetan hätte. Doch der Gruppe hatten 30 Minuten Pause gereicht. Warum bin ich meinem Bedürfnis nicht nachgekommen?

Zur Pause ist der größte Teil des Tages eigentlich schon geschafft, noch 2 Stunden und ich merke, dass ich langsam in ein kleines Suppenkoma ohne Suppe falle. Zum Essen hatte ich keine Zeit gefunden. Dann, um 15.30 ist Schluss. Nun noch schnell die Nachbereitung erledigen, alles versenden und fertig. Ich stelle fest, nicht nur die Arbeit ist fertig, nein auch ich bin rechtschaffen müde.

Was ist nur los? Werde ich alt?

Wie kann das sein? Gefühlt ist es doch eigentlich nur ein dreiviertel Tag. OK, online ist alles etwas intensiver, die fehlende Möglichkeit, ein Fenster zu öffnen, macht es nicht leichter. Dennoch. Früher habe ich 14, 15-Stundentage hingelegt und es hat mir nichts ausgemacht. Nach wenigen Stunden Schlaf bin ich wieder topfit gewesen.  Und heute?

Am liebsten würde ich jetzt auf der Couch die Füße hochlegen. Doch ich habe gleich noch einen Termin. Dieser ist freiwillig und hilft mir, einem, meinem Ziel näher zu kommen. Früher haben mich solche Termine stets bekräftig, motiviert. Und heute? Bin ich nicht mit genügend Herzblut bei der Sache oder einfach nur müde? Oder Alt?

So wie es mir heute geht, geht es vielen Menschen, die die 50 überschritten haben. Es kommt in ihnen das Gefühl auf, nicht mehr leistungsfähig zu sein. Doch ist es so? Sind wir im zunehmenden Alter weniger leistungsfähig? Und woran genau machen wir dies fest?

Wie oft wird uns im Alter suggeriert, dass wir immer noch genauso weit und hoch springen müssen oder sollten, wie in jungen Jahren? Wie oft erleben wir, dass Menschen, die eine gewisse Altersgrenze überschritten haben, in ihren Jobs nicht mehr als wertvoll angesehen werden? Häufig liegt diese Altersgrenze bei 55 + Jahren, manchmal sogar noch früher. Wie oft werden diesen Menschen junge Führungskräfte „vor die Nase“ gesetzt, um alles neu, alles besser zu machen.

Neue Besen kehren gut, so sagt man. Doch… die Alten wissen, wo der Dreck liegt.

In Unternehmen wird ein Personalwechsel von Alt auf Jung oft damit begründet, dass die Alten ja nicht mehr so leistungsfähig seien. Sind sie es wirklich nicht? Ja, vielleicht tun wir Menschen uns mit zunehmendem mit stetigen technischen Neuerungen schwer, mögen uns nicht wieder und wieder mit neuen Software-Programmen beschäftigen, wo die alten Programme doch prima funktioniert und ihren Dienst getan haben. Doch sind wir deswegen nicht mehr so leistungsfähig?

Schauen wir uns doch einmal Birgit Fischer an. Der Name sagt Ihnen etwas, aber Sie wissen nicht genau was? Ja, Birgit Fischer, die Ausnahmeathletin des deutschen Kanu-Sports. Die 1980 mit 18 Jahren an ihren ersten Olympischen Spielen in Moskau teilnahm und im Einer-Kajak ihre erste Goldmedaille gewann. Mit 42 Jahren in Athen 2004 gewinnt sie über dieselbe Strecke, diesmal allerdings im Vierer-Kajak ihre insgesamt 8 olympische Goldmedaille und ihre 12 Olympiamedaille insgesamt gewann.

Es ist immer dieselbe Strecke – 500 m – aber das Boot variiert. Es ist keine Einzelmedaille mehr, aber immerhin noch eine Goldmedaille im Zweier- und Vierer-Kajak. Welch eine Leistung. Sie muss zwar das Boot nicht mehr allein „ziehen“, aber sie muss dem Tempo standhalten, was die Schlagfrau vorgibt. Schmälert das ihre Leistung? Garantiert nicht.

Das Beispiel Birgit Fischer ist ein herausragendes. Ich kann nicht viele Menschen benennen, die solch fantastische Leistungen erbracht haben.

Warum fühlt es sich an, als wären wir nicht mehr so leistungsfähig?

Woran genau liegt es also, dass wir mit zunehmendem Alter gefühlt nicht mehr so viel schaffen? In Gesprächen mit vielen Gleichaltrigen oder Älteren kam heraus, dass es nicht an der intrinsischen Motivation mangelt. Ganz im Gegenteil. Es sich selbst immer wieder beweisen wollen – nicht müssen, wirklich wollen. Dagegen steht dann oftmals das, was uns von außen motiviert – oder eben nicht. Erfahrungen oder aktuelle Situationen, die uns unsere intrinsische Motivation durchaus vergessen lassen. Erfahrungen, die stärker sind. Das sind manchmal kleine Halbsätze, die ganz beiläufig, ja auch häufig unbedacht fallen. Die uns dann aber treffen wie kleine Pfeile. Insbesondere dann, wenn es um den Vergleich von alt und jung geht und dass jung doch alles viel besser und schneller, natürlich auch moderner erledigt.

Manchmal sind es auch Gedanken wie: Das tue ich mir jetzt nicht mehr an. Ein Satz, mit dem wir eigentlich doch eher zeigen, dass wir für uns selbst sorgen. Vor allem dann, wenn es um schneller, höher, weiter geht. Doch, würden wir es schaffen, wenn wir es wollten? Ich wage zu behaupten: Ja, wir würden es schaffen. Wir fokussieren uns mit zunehmendem Alter auf das, was uns wichtig ist. Dadurch sieht häufig das, was wir tun wie Monotasking aus. Doch was wir wirklich wollen, schaffen wir auch. Ich erinnere mich noch gut an eine Fernsehserie, die vor vielen Jahren lief. Eine ü50-jährige und eine 30-jährige buhlten quasi um die Leitung in ihrem Büro. Bei der Jüngeren musste immer alles dynamisch und sofort gehen. Die ältere Dame erwiderte dann oft nur süffisant „immer alles peu á peu“ und kam auch zum Ziel, oftmals mit dem besseren Ergebnis.

Es muss nicht immer alles auf einmal und sofort gehen. Denn die Erfahrung zeigt, dass dann meist irgendetwas schief geht.  Auch ist Multitasking sehr überschätzt und führt meist nicht zum gewünschten Ziel. Sind wir Älteren deswegen Schlaftabletten? Keineswegs.

Uns helfen die Erfahrung und das Wissen darum, was wir zu leisten im Stande sind.

Und mal ganz ehrlich: Waren wir nicht auch früher nach langen Arbeitstagen müde? Na klar! Doch in jüngeren Jahren kommt vielleicht eher das Gefühl, uns unsere Sporen verdienen zu müssen und entsprechend zu handeln. Und in Folge auch nicht auf uns zu hören, unsere Bedürfnisse wahrzunehmen.

Sind wir wirklich nicht mehr so leistungsfähig? Oder entscheiden wir bedachter, was wir wirklich wollen? Selektieren und fokussieren wir mehr als in jüngeren Jahren, weil wir niemandem mehr etwas beweisen müssen? Vielleicht nehmen wir uns heute einfach das Recht heraus, mehr auf uns selbst zu hören, auf das was uns guttut, wenn wir uns Pausen gönnen. Gepaart mit einem großen Erfahrungsschatz, der uns manche Situationen auch gelassener sehen lässt.

Doch mit einer Sache sollten wir, sollten Sie niemals aufhören: Bleiben Sie neugierig und offen für Neues!

Herzlichst Ihre

Britta von der Linden