Die Pflege der Eltern – Wenn das Verhältnis zueinander nicht gut ist

Da war bis gerade die Welt noch in Ordnung. So einigermaßen zumindest. Der Kontakt ist eingeschränkt, nur selten hört und sieht man sich. Und dann passiert es. Die Eltern benötigen Pflege oder Betreuung.

Wovon ich schreibe? Von der nicht seltenen Situation, dass sich Eltern und Kindern mit den Jahren immer mehr voneinander entfernen, Missverständnisse, Streitigkeiten den Alltag bestimmen. Häufig sind die Verletzungen so groß, dass die Betroffenen kaum miteinander reden. Vielleicht sieht man sich an Familien-Feiertagen wie Geburtstagen oder an Weihnachten, doch beide Seiten sehen diese Zusammenkünfte eher als Pflichtveranstaltung an. Nicht als eine Gelegenheit, gerne Zeit miteinander zu verbringen und sich auf diese Zeit auch noch zu freuen. Eltern und Kinder leben in ihrem eigenen Kosmos, emotional und räumlich weit entfernt vom anderen Teil der Familie.

Dann geschieht das, von dem wir alle in jeder Hinsicht hoffen, dass es niemals eintritt: Ein Elternteil  oder beide Eltern werden pflegebedürftig. Manchmal beginnt es noch einen Schritt vorher: Die Eltern benötigen zur Bewältigung ihres Alltags Unterstützung. Und schon spüren wir in einer solchen Situation die berühmte Faust im Magen. Und Fragen kommen uns in den Sinn. MUSS ich mich jetzt kümmern? Kann das nicht jemand anderes machen? Auch Gedanken wie: „Jetzt bin ich gut genug mich zu kümmern.“ Oder „Haben die Eltern mir geholfen, als ich mal Not hatte, die Kinder zu betreuen?“ Diese und ähnliche Gedanken gehen uns in einer solchen Situation durch den Kopf. Und sicherlich gibt es noch viele mehr.

Wir bleiben immer die Kinder unserer Eltern, egal ob wir selbst Eltern oder auch schon Großeltern sind. Was macht es uns so schwer, die Eltern nun im Rahmen unserer Möglichkeiten zu unterstützen? Oder zu verzeihen, wenn es etwas zu verzeihen gibt?

Muss die zutiefst verletzte Tochter ihre Mutter pflegen?

Eine meiner Klientinnen, ein sogenanntes Kriegskind, Jahrgang 42, erzählt mir mehr als einmal, dass ihre Mutter ihr sehr häufig direkt oder indirekt zu verstehen gegeben habe, dass sie (die Klientin) nicht erwünscht, nicht gewollt gewesen wäre. Die Mutter sogar mit allen Mitteln der damaligen Zeit versucht habe, die Schwangerschaft zu beenden. Mit sehr kämpferischer, aber genauso verletzter Miene erklärt mir die Klientin  dann „Ich war immer schon zäh und habe Durchhaltevermögen.“ Sie hatte stets, schon als kleines Kind, immer dieses Gefühl, nicht erwünscht zu sein. In jungen Jahren versucht sie mit allen Mitteln, der Mutter zu gefallen, alles zu tun, um die Liebe der Mutter zu gewinnen. Einmal berichtet sie mir unter Tränen, dass ihre Mutter sie das erste Mal in den Arm genommen hatte, als ihre eigene Tochter, das Enkelkind, zur Welt kommt.

Und dann wird die Mutter betreuungs- und später pflegebedürftig. Für meine Klientin die größte Herausforderung, die wir uns vorstellen können. Aufgewachsen mit dem Satz, den wahrscheinlich viele kennen – Was sollen denn die anderen denken? – ist Sie nun in der Zwickmühle, die richtige Entscheidung zu treffen. Im Tiefsten ihres Inneren will sie die Mutter nicht unterstützen und schon gar nicht pflegen. Es gehen ihr Gedanken durch den Kopf, für die sie sich selbst schämte. „Soll sie doch sehen, wo sie bleibt.“ Oder „Ich war nie gut genug, dann soll sich doch jetzt jemand anderes kümmern.“

Die all gegenwärtigen Gedanken über die Pflege der Mutter

Auf der anderen Seite will Sie die Fassade nach außen aufrechterhalten. Denn es gibt nicht viele Menschen, die von diesem Mutter-Tochter-Konflikt wissen. Und es macht auch etwas mit ihrem Selbstbewusstsein, dieser Gedanke andere wüssten davon. Bei dem Gedanken, es gäbe mehr Menschen, die von diesem Konflikt wüssten, fühlt sie sich noch kleiner, als es sowieso schon der Fall war.

Die nächsten Gedanken, die ihr durch den Kopf gehen, sind eher organisatorischer Natur. Sie selbst ist ja auch keine 20 mehr. Nein, im Gegenteil, sie hat nur noch 2 Jahre bis zur regulären Altersrente. Immer häufiger bemerkte sie, dass ihre körperliche Leistungsfähigkeit nachlässt und sie bei weitem nicht mehr so belastbar ist wie früher. Wie also soll sie nun die zusätzliche Belastung ertragen. Sie spricht tatsächlich von ertragen, nicht von stemmen oder bewältigen. Zeitlich wäre es vielleicht kein Problem, für die Mutter z. B. den Wocheneinkauf zu erledigen. Da die beiden nicht weit voneinander entfernt wohnen also eigentlich keine große Herausforderung.

Doch es ist dieser gefühlte Druck, es allen recht machen zu müssen, den Schein nach außen zu wahren, der sie antreibt.  Die Kommunikation mit der Mutter ist meist einsilbig und wenig emotional, klingt eher genervt, hart und abweisend. So wie die Mutter mit ihr all die Jahre gesprochen hatte. Und eben so, wie wenn wir etwas erledigen und nicht mit dem Herzen dabei sind, nur Wut, Verletzung, vielleicht sogar Hass fühlen.

Unverhofft kommt oft

Und dann passierte etwas, mit dem meine Klientin nie gerechnet hatte. Sie hatte mich um einen Termin außer der Reihe gebeten. Es klang sehr dringend. Mit Tränen in den Augen schildert sie mir von dem letzten Gespräch mit der Mutter. Sie hat ihre Tochter um Verzeihung gebeten! Um Verzeihung für die Kälte zwischen ihnen, die Lieblosigkeit und fehlende Akzeptanz. Ja,  auch für die körperlichen Schläge, die in den Jahren der Kindheit oft noch zur Erziehung dazu gehörten.

Die Mutter versucht ihr Verhalten nicht zu beschönigen. Vielmehr bemüht sie sich, der Tochter die Umstände von damals, mitten im 2. Weltkrieg zu vermitteln. Der Mann irgendwo im Krieg, sie selbst allein, mit wenig Unterstützung seitens ihrer eigenen Familie. Getrieben vom Willen, einfach nur mit einem kleinen Kind zu überleben. Später so führt die Mutter dann aus, hätte sie diese harte Fassade nicht mehr überwinden können.

Sie erklärt ihrer Tochter, wie dankbar sie sei, dass sie sich ihrer annehmen würde und sagt ihr das erste Mal, wie sehr sie sie liebt. Meine Klientin sitzt Tränen überströmt auf ihrem Stuhl und kann es nicht fassen. Und dann ist Sie hin- und hergerissen, ob es wohl Berechnung der Mutter sei.

Müssen wir unsere Eltern pflegen?

Dieser Satz ist provokativ, gewiss. Diese Geschichte zeigt uns jedoch auf, in welchem Zweispalt wir uns oft befinden, wenn wir in die Situation geraten, dass unsere Eltern dauerhaft Unterstützung und Pflege bedürfen. Es ist eine von vielen Situationen, in denen sich in uns jede Faser unseres Körpers – eigentlich – dagegen sträubt.

Müssen wir unsere Eltern betreuen und pflegen? Ja, es gibt den sogenannten Generationenvertrag. Doch was, wenn die Verletzungen – welcher Art auch immer – durch die Eltern so groß sind, dass das Verhältnis darunter sehr leidet?

Aus meiner Sicht gibt es mehrere Sichtweisen über die Pflege der Eltern.

  • Klären Sie für sich, was genau sich in ihnen sperrt, diese Aufgabe zu übernehmen.
  • Worin genau liegen die Verletzungen?
  • Haben Sie jemals mit den Eltern darüber gesprochen, worin genau die Verletzungen für sie liegen und was diese mit Ihnen machen?
  • Gibt es eine Möglichkeit zu verzeihen oder sind die Gräben so tief, dass sie unüberwindbar sind?
  • Kann jemand anderes  Ihnen helfen, dass diese Wunden heilen können?
  • Was erwarten Sie konkret von Ihren Eltern?
  • Welche Aufgaben würden Sie gegebenenfalls abgeben können?
  • Gibt es trotz allem vielleicht Dinge, die Sie in jedem Fall übernehmen möchten? Ich erlebe es bei meinen Klienten oft, dass Sie die Finanzen ungerne Fremden überlassen, wenn die Eltern es selbst nicht mehr regeln können.
  • Haben Sie Geschwister oder anderen Vertrauens-Personen, mit denen Sie sich die Aufgaben teilen können?

Sie benötigen einen unbeteiligten Sparringspartner, um sich über Ihre ganz persönliche Situation auszutauschen? Sprechen Sie mich gerne an und vereinbaren einen Termin mit mir!

Herzlichst

Ihre

Britta von der Linden